Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii)
Verbreitung der Rauhautfledermaus in Deutschland
Flächendeckend verbreitet, Wochenstuben allerdings vor allem im Nordosten Deutschlands in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg [1]
Möglicherweise Ausbreitung der Wochenstuben nach Süden, vereinzelte Nachweise in Bayern und Baden-Württemberg, allerdings nur in wärmebegünstigten Tieflagen [2,3]
Männchen ganzjährig auch im Süden Deutschlands, vor allem im Bereich von Flussniederungen sowie am Bodensee, gelegentlich aber auch in höheren Lagen [4]
Im Herbst Zug in Überwinterungsgebiete im Südwesten Europas, Überwinterungen regelmäßig aber auch in Bayern und Baden-Württemberg, vereinzelt in Norddeutschland [5,6,7]
Nutzung von Wald durch die Rauhautfledermaus
(+++ fast ausschließlich, ++ regelmäßig, + gelegentlich, – unbedeutend, ? unbekannt)
als Wochenstubengebiet (++)
Wochenstubenquartiere häufig in Bäumen in alten und reich strukturierten Beständen meist an Wald(innen-)rändern [8]
Bevorzugt Spaltenquartiere in engen Zwieseln, durch Blitzschläge entstandenen Stammrissen oder auch unter abstehender Rinde in Eichen und Buchen [8,9,10]
In den quartierarmen Kiefernforsten Brandenburgs auch häufig in Kästen [9]
Teils auch in Gebäudequartieren, vor allem in Süddeutschland [2]
als Paarungsgebiet (+++)
Paarungsquartiere ebenfalls in Baumquartieren und Kästen, Weibchen werden durch Balzflüge in die Quartiere gelockt [8,11]
Paarungsquartiere werden regelmäßig gewechselt, daher ist eine ausreichende Quartierdichte notwendig [11,12]
als Überwinterungsgebiet (+++)
Überwinterung vor allem in überirdischen Quartieren in Baumhöhlen, Holzstapeln, Spaltenquartieren an Gebäuden und Felswänden [13]
Winternachweis aus Bayern mit 44 Tieren in einer hohlen Fichte [6]
Meist werden nur Einzeltiere, z.B. in Holzstapeln oder Gebäuden, gefunden [7,14]
als Jagdgebiet (+)
Vor allem an und über Gewässern, auch entlang von Ufervegetation [10,15,16]
Aber auch in Laubwäldern, häufig im Baumkronenbereich [8,10]
Aktionsradien durchschnittlich bis 5 km vom Quartier, teils sogar bis zu 12 km [8,10]
Jagd- und Transferflüge entlang von Leitstrukturen, aber auch im freien Luftraum [11,17]
Gefährdungsprognose für die Rauhautfledermaus beim Bau von WEA im Wald
(+++ sehr hoch, ++ hoch, + mäßig, – unwahrscheinlich)
Beeinträchtigungen durch Lebensstättenverlust (++)
Verlust von Wochenstubenquartieren in reich strukturierten Wäldern, aber auch Kiefernforsten mit Kastenrevieren in den Niederungen Nordostdeutschlands
Verlust von Einzel- und Paarungsquartieren in altholzreichen Laub- und Laubmischwäldern und Auwäldern in den Tieflagen, sowohl in den Wochenstubengebieten als auch entlang der Zugregionenrtieren in tief gelegenen feuchten altholzreichen Laub- und Laubmischwäldern
Verlust von Winterquartieren, vor allem in altholzreichen Wäldern in Flussniederungen im Süden Deutschlands
Beeinträchtigungen durch ein erhöhtes Kollisionsrisiko (+++)
Generell erhöhtes Kollisionsrisiko aufgrund von Flügen im freien Luftraum und Zugverhalten
Europaweit bereits mehr als 1000 Schlagopfer, davon 855 in Deutschland, in Deutschland die am zweithäufigsten geschlagene Art [18]
Ein erhöhtes Kollisionsrisiko ist im Umfeld um die Wochenstubenquartierzentren in den Niederungen Nordostdeutschlands zu erwarten
Im Bereich von Paarungsgebieten in den Flussniederungen und Auwaldregionen in ganz Deutschland
Geeignete Erfassungsmethoden für die Rauhautfledermaus
Voruntersuchungen
Akustische Untersuchung der Phänologie mindestens vom 1.4. bis 31.10., 1 Gerät pro geplante WEA, idealerweise wenigstens 1 Gerät oberhalb der Baumkronen mit zusätzlicher Bodenreferenz
Statusbestimmung durch Netzfänge, mindestens 4 Netzfänge in einem Projektgebiet, 2 pro geplanter WEA bis 10 WEA, ab dann 1 weiterer pro weitere WEA
Telemetrie zur Identifikation von Wochenstuben-Quartieren, 3 bis 5 Weibchen mit jeweils 4 bis 8 Sendernächten in mehreren Erfassungsblöcken verteilt über die Wochenstubenzeit zur Identifikation der Quartierzentren, Abgrenzung der Quartierzentren aufgrund der tatsächlichen Quartiernachweise
Detektorbegehungen im Herbst ab ca. 1 bis 2 h nach Sonnenuntergang zur Ermittlung von Paarungsquartieren aufgrund von Balzaktivität, mindestens 4 Durchgänge zwischen Mitte August und Ende Oktober, Abgrenzung der Quartierzentren aufgrund der Nachweise von Balzaktivität unter Berücksichtigung der Habitateignung in den betreffenden Waldbeständen
Kartierung potentieller Quartierbäume in den Rodungsbereichen unter Angabe des Standorts, Baumtyps, Quartierart, Eignung
Untersuchungen nach Errichtung der Anlagen
Nach Errichtung der Anlagen akustische Messungen in Gondelhöhe über zwei Jahre hinweg mindestens vom 1.4. bis 31.10., zur Ermittlung anlagenspezifischer Abschaltalgorithmen, an allen WEA bei sehr unterschiedlicher Habitatausstattung, sonst mindestens 2 pro angefangene 5 WEA, ab 10 eine weitere pro angefangene 5 WEA
An Anlagen in der Nähe von Wochenstuben- und Paarungs-Quartierzentren ggf. Schlagopfersuchen zur Überprüfung der Funktion von Vermeidungsmaßnahmen. Bestimmung der Korrekturfaktoren absuchbare Fläche, Abtragrate und Sucheffizienz, Erhöhung der Auffinde-Wahrscheinlichkeit von Schlagopfern durch tägliche Suchen an allen Anlagen, Suchen mit Hunden
Geeignete Maßnahmen für die Rauhautfledermaus
Meidung von Laub- und Mischwäldern und naturnahen Nadelwäldern ab einem Bestandsalter von 100 Jahren
Meidung von nachgewiesenen Wochenstuben-Quartierzentren mit einem Abstand von mindestens 200 m, ggf. mehr, falls zusammenhängende, quartierreiche Bestände über diesen Radius hinausreichen
Geeignete Wahl des Rodungszeitpunkts, am besten in Frostperioden im Winter, Kontrolle der zu fällenden potenziellen Quartierbäume auf Besatz
Ausgleich des Verlusts von Waldfläche mit Quartierpotential mit einem Ausgleichsfaktor bis zu 1:5 je nach Wertigkeit der Fläche; in den Ausgleichsflächen Förderung des natürlichen Quartierpotentials durch Nutzungsaufgabe oder naturnahe Bewirtschaftung in älteren Waldbeständen
Interimslösung zur schnellen Erhöhung des Quartierpotentials in den Ausgleichsflächen: Aufhängen von Fledermauskästen (Rundkästen und Flachkästen; Anzahl je nach Bedarf an Ausgleichsfläche); Wirksamkeit ist vor allem in Gebieten mit bereits vorhandenen Kästen wahrscheinlich
Pauschale Abschaltzeiten im ersten Betriebsjahr bis mindestens 6 m/s und ab 10 °C, in der Nähe von Paarungs- und Wochenstubenquartierzentren und in Gebieten mit erhöhter Aktivität zur Zugzeit ggf. noch strengere Schwellenwerte
Anlagenspezifische Abschaltzeiten ab dem 2. Jahr zur Vermeidung eines erhöhten Kollisionsrisikos, ggf. Anpassung an besondere Aktivitätsmuster, z.B. bei außergewöhnlich hohen Aktivitäten zur Wochenstuben-, Paarungs- oder Zugzeit oder hohen Aktivitäten in der zweiten Nachthälfte
Literatur
[1] | Boye, P. & Meyer-Cords, C. (2004): Pipistrellus nathusii (Keyserling & Blasius, 1839). – In: Petersen, N., Ellwanger, G., Bless, R., P. Boye, Schröder, E. & Ssymank:, A. (Hrsg.): Landschaftspflege und Naturschutz. Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000. – Bonn (Bundesamt für Naturschutz): 562-569. |
[2] | Zahn, A., Hartl, B., Henatsch, B., Keil, A. & Marka, S. (2002): Erstnachweis einer Wochenstube der Rauhhautfledermaus (Pipistrellus nathusii) in Bayern. – Nyctalus 8: 187-190. |
[3] | Schmidt, B. & Ramos, L. (2006): Fortpflanzungsbelege der Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii) im Raum Friedrichshafen, Bodenseekreis, 2005 und 2006. – Der Flattermann 18: 15-16. |
[4] | Vierhaus, H. (2004): Pipistrellus nathusii (Keyserling und Blasius, 1839) - Rauhautfledermaus. – In: Krapp, F. & Niethammer, J. (Hrsg.): Handbuch der Säugetiere Europas - Band 4 - Teil 2. – Kempten (Aula-Verlag): 825-873. |
[5] | Steffens, R., Zöphel, U. & Brockmann, D. (2004): 40 Jahre Fledermausmarkierungszentrale Dresden – methodische Hinweise und Ergebnisübersicht. – Sächsisches Landesamt für Umwelt und Geologie, Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege: 125 S. |
[6] | Meschede, A. (2004): Rauhautfledermaus Pipistrellus nathusii (Keyserling & Blasius, 1839). – In: Meschede, A. & Rudolph, B.-U. (Hrsg.): Fledermäuse in Bayern. – Stuttgart (Ulmer-Verlag): 280-290. |
[7] | Borkenhagen, P. (2011): Die Säugetiere Schleswig-Holsteins. – Husum (Husum Verlag): 664 S. |
[8] | Schorcht, W., Tress, C., Biedermann, M., Koch, R. & Tress, J. (2002): Zur Ressourcennutzung von Rauhautfledermäusen (Pipistrellus nathusii) in Mecklenburg. – In: Meschede, A., Heller, K.-G. & Boye, P. (Hrsg.): Ökologie, Wanderungen und Genetik von Fledermäusen in Wäldern - Untersuchungen als Grundlage für den Fledermausschutz. – Bonn-Bad Godesberg (Bundesamt für Naturschutz): 191-212. |
[9] | Kuthe, C. & Heise, G. (2008): Rauhautfledermaus Pipistrellus nathusii (Kayserling & Blasius, 1839). – In: Teubner, J., Teubner, J., Dolch, D. & Heise, G. (Hrsg.): Säugetierfauna des Landes Brandenburg Teil 1: Fledermäuse. – Velten (Landesumweltamt Brandenburg): 148-152. |
[10] | Eichstädt, H. (1995): Ressourcennutzung und Nischengestaltung in einer Fledermausgemeinschaft im Nordosten Brandenburgs. – Dresden (TU Dresden – Dissertation): 113 S. |
[11] | Arnold, A. & Braun, M. (2002): Telemetrische Untersuchungen an Rauhhautfledermäusen (Pipistrellus nathusii Keyserling & Blasius, 1839) in den nordbadischen Rheinauen. – In: Meschede, A., Heller, K.-G. & Boye, P. (Hrsg.): Ökologie, Wanderungen und Genetik von Fledermäusen in Wäldern - Untersuchungen als Grundlage für den Fledermausschutz. – Bonn-Godesberg (Bundesamt für Naturschutz): 177-189. |
[12] | König, H. & König, W. (2011): Rückgang der Rauhhautfledermaus (Pipistrellus nathusii) in Durchzugsgebieten am Nördlichen Oberrhein (Bundesrepublik Deutschland, Rheinland-Pfalz). – Nyctalus 16: 58-66. |
[13] | Dietz, C., Helversen, O. v. & Nill, D. (2007): Handbuch der Fledermäuse Europas und Nordwestafrikas. – Stuttgart (Kosmos-Verlag): 399 S. |
[14] | Rackow, W. (2010): Vermehrtes Auftreten von "Kälteflüchtlingen" bei Zwerg- und Rauhhautfledermäusen (Pipistrellus pipistrellus, P. nathusii) während des besonders kalten Winters 2009/2010 in Süd-Niedersachsen. – Nyctalus 15: 265-270. |
[15] | Gelhaus, M. & Zahn, A. (2010): Roosting ecology, phenology and foraging habitats of a nursery colony of Pipistrellus nathusii in the southwestern part of its reproduction range. – Vespertilio 13-14: 93-102. |
[16] | Burkhard, W.-D. & Güttinger, R. (2011): Jagdlebensräume weiblicher Rauhautfledermäuse (Pipistrellus nathusii, Keyserling & Blasius 1839) in der Nordostschweiz (Etzwilen, Kanton Thurgau). – Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft 65: 187-197. |
[17] | Dense, C. (1991): Wochenstubennachweis der Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii) in Niedersachsen und Anmerkungen zur Verbreitung, Biologie und Ökologie. – Beiträge zur Naturkunde Niedersachsens 26: 141-142. |
[18] | Dürr, T. (2016): Fledermausverluste an Windenergieanlagen. Daten aus der zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg. – Stand vom 19. September 2016 (LUGV Brandenburg): 1 S. |